Urteil nach Anschlag am Jom Kippur 5780 in Halle: Interview mit Max Privorozki

Nach dem Prozess gegen den Attentäter von Halle, ist für den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde von Halle die Aufarbeitung des Anschlags längst nicht abgeschlossen. Max Privorozki wünscht sich von der Politik, nicht nur den Extremismus zu bekämpfen, sondern vor allem Toleranz zu fördern. Außerdem glaubt er, dass die Rolle der Eltern des Attentäters noch rechtlich bewertet werden muss. MDR SACHSEN-ANHALT-Reporterin Marie Landes hat ihn befragt.

Herr Privorozki, das Urteil ist gefällt. Wie zufrieden sind Sie damit? Wurde mit dem Urteil ein klares Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt – oder fehlt etwas?

Max Privorozki: Das Urteil ist gefällt und es ist auch das einzig vertretbare Urteil dafür was und wie er es alles getan hat. Die Zeichen gegen Antisemitismus sollten jedoch nicht in einem Strafprozess gestellt werden, sondern in der Gesellschaft und in der Politik. Und zwar nicht nur nach einem Terroranschlag.

Was bedeutet der Urteilsspruch für die jüdische Gemeinde Halle? Inwiefern ist die Urteilsverkündung auch ein Abschluss?

Max Privorozki: Wenn es um eine juristische Komponente geht, bleibt die Rolle von Eltern, insbesondere der Mutter des verurteilten Attentäters weiterhin unerforscht. Wir werden prüfen, ob der Rechtsweg in dieser Richtung wirklich ausgeschöpft ist. In diesem Sinne ist es noch kein Abschluss. Das Attentat war nur die Spitze des Eisbergs. Die Tatsache, dass die Mutter des verurteilten Mörders mit ihren antisemitischen Ansichten jahrelang als Ethiklehrerin gearbeitet hat (und es möglicherweise auch weiterhin tut), ist die eigentliche Schande und Katastrophe. Wir hören sehr oft, dass es gefährlich ist, wenn bei den Sicherheitsbehörden Menschen mit antisemitischen Ansichten tätig sind. Noch hundertmal schlimmer ist, wenn solche Menschen mit Kindern arbeiten, egal ob mit eigenen oder fremden.

Mit dem Urteil endet die juristische Aufarbeitung des Halle-Attentats. Wie sieht es mit der gesellschaftlichen Aufarbeitung aus? Wo stehen wir?

Max Privorozki: Hier bleibt noch ein langer und schwieriger Weg. Dabei geht es nicht nur um die Aufarbeitung des Jom-Kippur-Anschlags in Halle oder Terrors in Hanau, Dresden, Berlin oder Hamburg. Es geht um die Entspannung in der gesellschaftlichen Atmosphäre, in den zwischenmenschlichen Beziehungen, egal zu welchem Thema. Wenn man nur Rechtsextremismus oder nur Islamismus oder auch nur Linksextremismus bekämpft, geht man automatisch auf die Barrikaden von einer oder von der anderen Seite. Richtige politische Kunst ist nicht die Bekämpfung von einem oder anderem Unrecht, sondern Förderung der Toleranz und Entspannung durch die Kultur und Bildung. Dafür braucht man Zeit und Investitionen, viel Zeit und viele Investitionen. Und viel Geduld. Leider handelt Politik immer öfter sporadisch, als unmittelbare Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis. Es fehlt strategisches langfristiges Denken – und nicht nur in Bezug auf die Antisemitismusbekämpfung.

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Chanukka 5781 Sameach aus Halle!!!

Liebe Gemeindemitglieder und Freunde!

Wir freuen uns auf das Fest des Lichtes – Chanukka!

So wie das Öl der Lämpchen ausgehen kann, drohen vielfach Menschlichkeit, Glaube und gegenseitige Achtung und Liebe auszugehen. Wir alle erfahren das schmerzlich in den verschiedenen Gesichtern des Antisemitismus. Da möchten wir G-tt dringlich bitten, dass er uns die Hoffnung wie das Öl damals nicht ausgehen lässt.

Chanukka-Paket für unsere Mitglieder

Die traditionelle Chanukka-Party wird leider diesmal ausfallen.
Dennoch bekommen unsere Mitglieder solche Chanukka-Pakete nach Hause geliefert.

Wir wünschen allen Mitgliedern – Chanukka sameach und Seien Sie Gesund!!!

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Ansprache des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Halle Max Privorozki im OLG Sachsen-Anhalt am 08.12.2020 im Strafprozess gegen den wegen zweifachen Mordes und mehreren versuchten Mordes Angeklagten Stefan B.

Hohes Gericht, sehr geehrte Damen und Herren,

in den Plädoyers der Bundesanwaltschaft sowie der zahlreichen Nebenkläger wurde bereits Vieles über die abscheuliche Tat sehr zutreffend gesagt. Ich möchte gern Wiederholungen vermeiden, obwohl das nicht einfach ist. Ein Mord ist ein Mord und ein Mörder ist und bleibt ein Mörder.

Für mich persönlich war es wichtig zu verstehen: Worin liegt die Quelle dieses bestialischen Hasses gegen die Juden bei dem Angeklagten? Und: War er wirklich ein Einzeltäter oder hatte er Mitwisser, geistige Unterstützer oder sogar Komplizen?

Ich meine jetzt Antworten zu haben. Es wird behauptet, dass er sich im Internet in anonymen Online-Foren radikalisiert habe und, wie er selbst einmal sagte, im Jahr 2015 verstanden habe, dass man „die weiße Rasse schützen müsse“. Nach meiner Überzeugung liegt der Ursprung für diesen Hass weder im Internet noch in den Ereignissen vor 5 Jahren. Die Quelle ist die Familie des Angeklagten. Sicherlich steht der Mutter und dem Vater ein Zeugenaussageverweigerungsrecht zu. Es ist schade, dass die Eltern, insbesondere die Mutter, von diesem Recht Gebrauch gemacht haben. Somit haben sie möglicherweise verhindert, zumindest bisher, eine detaillierte Aufklärung zu bieten, wie ein Kind in familiärer Umgebung zu einem Mörder voller Hass und Verschwörungsmythen werden konnte. Ich hoffe dennoch, dass der Rechtsweg für die Klärung der Rolle der Eltern und dementsprechend das einschließende Ahnden nicht ausgeschöpft ist.

Der Attentäter wollte in seinem Hassgewand eine „weiße Rasse“ schützen – was auch immer er unter diesem Begriff verstehen möge. Dabei hat er eine unverzeihliche Spur des Leidens hinterlassen.

Es ist wichtig für ihn zu wissen: Die von ihm gehassten deutschen Juden haben für die zwei von ihm ermordeten deutschen Nichtjuden – Jana und Kevin – ein Denkmal auf dem Synagogengelände errichtet und zwei Gedenktafeln an der Mauer vor der deutschen Synagoge und vor dem deutschen Kiez-Döner angebracht, finanziert gemeinsam mit vielen weiteren deutschen Organisationen und Privatpersonen. Er soll wissen, dass sehr viele deutsche Christen, Muslime und Nichtgläubige, deutsche Weiße und deutsche Schwarze, deutsche Kinder, deutsche Frauen und deutsche Männer nach seinem Attentat den deutschen Juden ihre grenzenlose Solidarität geschenkt haben. Ihm soll bewusst sein, dass er weder jemanden geschützt noch etwas Gutes in seinem Leben vollbracht hat. Mehr noch soll ihm klar sein, dass die deutschen und nichtdeutschen Steuerzahler bisher seine Existenz finanziert haben und, wie zu erwarten ist, es auch bis zu seinem Ableben tun werden.

In zwei Tagen beginnt das Chanukka-Fest, das jüdische Lichterfest. Zwei Wochen nach Chanukkabeginn werden alle Christen Weihnachten, auch ein Lichterfest, feiern. Wir freuen uns auf beide Feste und grüßen unsere Freunde. Denn wir, die absolute Mehrheit der Menschen, mögen Licht und Helligkeit und glauben an G‑tt, der diese Welt hell und fröhlich erschaffen hat. Wir glauben auch, dass die Seelen von beiden Mordopfern des Angeklagten – Jana und Kevin – bei diesen Festen des Lichtes uns von Himmel leuchten werden.

Der Angeklagte hat einen anderen Glauben: Er glaubt an die Verschwörungen, an Hass, an Mord. Er glaubt an Dunkelheit und Finsternis. Jedem steht es frei nach seinem Glauben oder seiner Weltanschauung zu leben. Wir haben das Licht gewählt, der Angeklagte die Dunkelheit. So wird er auch in Zukunft in Dunkelheit leben müssen. 

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